Es gilt das gesprochene Wort! TOP 36/46/47 – Meisterbriefe und Freie Berufe. Dazu sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Andreas Tietze:
Wir wollen keine Jugendarbeitslosigkeit heraufbeschwören
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sehr geehrtes Präsidium,
die deutsche Wirtschaft steht im internationalen Wettbewerb gut da. Und das trotz vergleichsweise hoher Personalkosten von im Schnitt knapp 35 Euro pro Stunde. Zu verdanken ist dieses der hohen Qualifikation der Menschen in den Betrieben. Das Handwerk mit seinen Gesellen und Meistern trägt dazu überdurchschnittlich viel bei.
Grundlage ist dabei unser zweigleisiges Ausbildungssystem, das sowohl Theorie in der Berufsschule als auch Praxis im Betrieb beinhaltet. Handwerk hat goldenen und zunehmend auch grünen Boden. Das unterscheidet Deutschland von vielen anderen Ländern in Europa, wo viele Menschen entweder nur kurz angelernt oder gleich auf einer Universität ausgebildet werden.
Hinzu kommt, dass in Deutschland die Wirtschaftsstruktur viel kleinteiliger ist. Der Kontakt vom Betriebsinhaber zum Angestellten bis hin zum Auszubildenden ist hierzulande viel intensiver. Der Betriebsinhaber bildet direkt mit aus, ist nah dran an den Auszubildenden und trägt eine hohe Verantwortung für das Gelingen der Ausbildung.
Deutschland ist zentrale Wirtschaftsmacht in Europa. Das eröffnet uns nicht nur Exportchancen, sondern bietet uns die Chance, unseren Fachkräftemangel zu lindern. Doch vielfach werden ausländische Berufsabschlüsse nicht anerkannt. Das ist im Krieg um die Talente (war of talents / Tennet) ein Nachteil.
Wissen Sie, was es für einen eingewanderten Ingenieur heißt, wenn er nur für einfache Tätigkeiten eingesetzt wird? Das ist nicht nur eine finanzielle sondern auch eine menschliche Tragödie – da brauchen wir eine neue Anerkennungskultur.
Bei den Berufen des Handwerks ist es aber genau anders herum. Die Ausbildungen anderer Länder können nicht mit unseren Gesellen- und Meisterprüfungen mithalten. Dann kann oft der Angestellte die gewünschten Anforderungen nicht erfüllen, obwohl der Titel des Berufsabschlusses genau das zu versprechen scheint. Stress und Verzögerungen, sowie Enttäuschung und Frust auf beiden Seiten sind die Folgen.
Ein zentrales Problem ist in diesem Fall die Transparenz in Europa. Das Wirrwarr der Berufsabschlüsse treibt dabei seltsame Blüten. So ist der im englischen Sprachraum zu findende „Master“ ein Universitätsabschluss und nicht mit dem deutschen Meister zu vergleichen, sondern eher dem deutschen Diplom. Im englischen Sprachraum hingegen ist ein „Diploma“ wiederum oft nur eine Zusatzqualifikation. Vielfach fehlt da der Durchblick.
Hier müssen wir dringend aufräumen und Klarheit schaffen. Wir können es uns bei dem zunehmenden Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel nicht leisten, qualifizierte Menschen, die zu uns kommen, weit unter ihrer Qualifikation zu beschäftigen, bloß weil wir an alten Strukturen festhalten.
Aber andererseits sollten wir uns hüten, die Qualitätsanforderungen, die wir mit unseren Meisterabschluss verbinden, abzusenken. Ein guter Geselle ist eben nicht bloß ein Schrauber, sondern weiß auch, was er tut. Und davon hängt viel ab.
Der Antrag der Piraten geht in völlig falsche Richtung. Sie haben sich richtig vergaloppiert und die ganzen Handwerksverbände zu Recht aufgebracht. Insofern bin ich dankbar dafür, dass wir gemeinsam mit allen anderen Landtagfraktionen ihr populistisches Unterfangen stoppen.
Wir Grüne wollen Transparenz. Wir wollen ein Land, das andere Menschen willkommen heißt und nach deren Fähigkeiten einsetzt. Bildung ist ein hohes Gut und bei einer Abschaffung des Meisterbriefes wird die Kommerzialisierung zunehmen, niemand wird mehr ein Interesse an Ausbildung haben, das können sie z.B. bei den Fliesenlegern schon beobachten. Dort gibt es zwar noch den Meistertitel, niemand meldet sich aber mehr zum Lehrgang an und die Ausbildungsplätze sind drastisch gesunken.
Wir dürfen nicht zulassen, dass auch andere Berufe in diesen Strudel geraten und die Qualität unserer Ausbildungsstandards abgesenkt wird. Es macht keinen Sinn, die Gefahr einer drohenden Jugendarbeitslosigkeit ohne Not heraufzubeschwören. Wir werden in der Sache abstimmen.